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Wir lesen03/2020Und plötzlich eine andere Welt

Die Welt, in der wir bislang lebten, ist gar nicht so alternativlos, wie wir immer dachten. Statt Mangel werden plötzlich Sonderhaushalte im Milliardenhöhe verwaltet. Schulen dürfen nicht mehr betreten werden. Die lokale Wirtschaft ruht. Und dachten wir bislang, Anonymität in Großstädten und Einsamkeit unter Älteren sei ein Problem, liegt darin plötzlich die Rettung der Welt. Alles steht Kopf und: Alles ist möglich. Unsere März-Ausgabe kennt – wie die ganze Welt – nur ein Thema: Corona.

#Corona ist aber nicht nur der Name des hinterhältigen und unsichtbaren Virus, sondern auch Chiffre. Es werden derzeit neue Unterscheidungen der Ungleichheit etabliert. Schon lange ungelöste Probleme eskalieren zu existenziellen Notlagen. Deutschlandweit sind Diesel-, Weizen-, und Medikamentenlager verteilt, um Fabriken und Familien am Leben zu halten. Aber an Lager für Mundschutz und Kittel hat man nicht gedacht. Das bisschen Stoff, das bisschen Papier. Just in Time ist jetzt Out of Stock. Globalisierung ist jetzt der Kostentreiber. Für jeden Cent der gespart wurde, zahlen wir jetzt millionenfach drauf.

Ausgerechnet Donald Trump, der nun mit den Befugnissen eines Präsidenten im Krieg einen Kampf gegen die Globalisierung führen könnte, um Produktion und Kapitel zurück ins eigene Land zu holen, versagt dabei auf ganzer Strecke. Welch ein Glück. Ganz ähnlich geht es auch den deutsprachigen Intellektuellen. Was für ein Pech. Wir hören querbeet ins aktuelle Denken und urteilen, dass die „wir sitzen alle in einem Boot“-Metapher zwar aufmunternd, aber falsch ist und dass der schlichte Verweis auf die Krisenolympiade Corona vs. Climate noch keinen Schritt weiterführt.

Was unsere Gesellschaft braucht und wovon alles abhängt, sieht man jetzt am besten. Warum also warten mit der Diskussion genau darüber?

Wir finanzieren diesen Podcast mit einer Paywall zu Sonderfolgen, den Salon, in dem wir dich herzlich begrüßen.

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Wolfgang
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Stefan
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Mathias
Musik

12 Gedanken zu „Und plötzlich eine andere Welt

  1. David

    Ich höre grad Aufwachen 426 nach, wo Stefan auf Andrew Yang und sein Infragestellen der Berechnung des BIP eingeht. Als ich zuvor euren Podcast gehört habe, ging mir das immer wieder durch den Kopf – nach meinem Gefühl habt ihr das BIP und das aktuelle Wirtschaftssystem immer sehr stark als gegeben und unveränderlich betrachtet, dabei ist Geld und alles was darauf aufbaut ja am Ende ein soziales Gebilde, das modifiziert werden kann. Sei es in Hinblick auf die Berechnung des Werts des Einzelnen Menschen oder eben Konstrukte wie des BIP, die zwar nach aktueller Berechnungsgrundlage jede Woche um 1% abnehmen wird, aber diese Grundlage kann man je nach dem auch politisch beeinflussen. Ich bin gespannt, wo wir da in einem Monat stehen werden.

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  2. Jan Zeller

    Die Argumentation mit dem Durchschnittsalter ist so nicht ganz richtig gedacht . Wir hätten schließlich kein Durchschnittssterbealter von 81 mehr, wenn jetzt zu viele in diesem Alter an Covid sterben würden. Für eine durchschnittliche Lebenserwartung müssen dann schon auch ein paar 90 oder 100 werden. Somit sterben einige nicht schon im März statt im August, sondern vielleicht auch 10 Jahre zu früh.

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    1. Stefan Beitragsautor

      Naja, bei einer Spanne von 5 Monaten bis 9 Jahren verteilen sich die tatsächlichen Fälle aber schon eher im Bereich der kurzen Spanne. Es gibt ja auch im hohen Alter eine sehr große Überlebenschance.

  3. Paul

    Ihr wolltet ja Fragen, hier kommt als eine: Wie steht ihr eigentlich zu Jean Baudrillards Theorie des Virtuellen? Gerade in Bezug auf den momentanen Kommunikationsmodus, auf Westworld, den „My Instagram“-Artikel etc. scheint mir diese doch unbestreitbar relevant. Konkreter wäre vielleicht die Frage: Wie wirkt sich der Modus der (virtuellen) Kommunikation auf das Realitäts- und Selbstverständnis aus?

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  4. Hendrik

    Meta und nur eine Kleinigkeit: Wäre es möglich die „regulären“ Folgen ebenfalls zusätzlich über den Steady-Feed auszuspielen, dann müsste ich nicht zwei Feeds abonnieren und nach der Folge würde in meinem Player direkt der Salon abgespielt.

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    1. Stefan Beitragsautor

      Moinsen Hendrik, absolut berechtigte Frage. Das Problem für uns ist, dass wir nicht alle Kontrolle über den Feed an Steady übergeben wollen. Daher bleibt es bei nur einem – freien – Feed für die freien Episoden. Grüße, Stefan

  5. Marcus

    Wie seht ihr die Rolle der WHO im Moment und von supranationalen Institutionen im Generellen? Man kann ja davon ausgehen, dass sich die Globalisierung nach der Corona-Krise wieder intensivieren wird und globale Probleme auch in Zukunft im relevanter werden (siehe Klimakrise…). Darum scheint es, als ob solche Institutionen zur weltweiten Koordination und Zusammenarbeit ein sinnvolles Instrument wären. Allerdings bringen solche Institutionen einen ziemlich langen Rattenschwanz an Problemen mit sich (nicht demokratisch gewählt, keine Exekutive wenn es relevant wäre, nicht unpolitisch wie man an dem WHO Interview über Taiwan sieht, etc..). Daher die Frage ob man die Art von Institutionen braucht und vor allem wie man diese verbessern kann oder ob es Alternativen gibt?

    Würde mich über einen Kommentar in der nächsten Folge freuen.

    Grüße, Marcus

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  6. Heinzi

    Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch, dass viele Entwicklungen sehr schön zusammengefasst hat.

    In Hinblick auf die Verschiebung zur Exekutive in fast allen Ländern glänze neben der US-Zentralregierung, der brasilianischen Federalregierung auch die „Executive“ auf unserem Kontinenz mit Abwesenheit.

    Das Versagen der EU seit Anfang März zur Thematik EU-Aussengrenzen & den „Lagern“ in Griechenland und kurz danach die fast völlige Abwesenheit der EU-Komission in der Corona-Krise ist einfach nur eklatant.

    Klickt Euch mal durch die Pressemeldungen:
    https://ec.europa.eu/commission/presscorner/home/de?pagenumber=1#news-block

    Das ist alles nur reaktiv, keine Impulse gesetzt.
    Hier hat auch die neue Präsidentschaft 1 Jahr nach der Parlamentswahl komplett eine Gelegenheit verschlafen, eine Rolle als Krisenmanagerin a la Schröder einzunehmen.
    Politik in Europa in Bezug auf eine der historischen Krisen wird nur noch von den Nationalstaaten, ja sogar von den Regionen (siehe die Überführung von Patienten aus der Lombardei nach Sachsen oder die Entsendung von Ärzten aus Thüringen nach Norditalien), gemacht.
    Da war selbst der Junker 2008 und folgende noch nüchterner.
    Ist das nicht die Steilvorlage für diejenigen, die immer von einem „Europa der Nationen“ schwadronieren

    Das wäre mal einen eigenen Sendeblock wert.

    Der einzige Lichtblick ist, dass die EU-Komm die großen Linien in der Kommunikation nach außen noch nicht verloren hat:
    „Globale Herausforderungen benötigten globale Reaktionen. Nicht nur ein Teil der Welt sei bedeutend, vor allem eine starke Partnerschaft mit Afrika sei darüber hinaus zu stärken. Die Schuldenlast Afrikas solle zudem mittel- und langfristig gelöst werden.“
    „Er sei zudem überzeugt davon, dass weder der digitale Wandel, noch der Klimawandel in der Coronakrise an Wichtigkeit verliere.“
    https://www.handelsblatt.com/politik/international/-coronavirus-newsblog-zahl-der-neuinfektionen-in-italien-sinkt-us-seuchenexperte-daempft-hoffnungen-auf-ende-des-shutdowns/25471608.html?liveblog._id=urn:newsml:localhost:2020-04-15T11:36:23.455744:ff25fb7f-e839-4fbe-aff9-24234960517e__editorial

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  7. Jimi

    Würde gerne nur kritisch anmerken, dass Peter Singer nicht die Euthanasie befürwortet. Er wird mehrfach missverstanden. Wenn man seine Texte liest wird klar, dass er umgekehrt versucht eine andere Tierethik zu etablieren.

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