Salon

06/2025Geoökonomie, Apple in China, Thomas Mann, Zeitgemäße Liebe, Synkretismus, Junge Ukrainer, Jazz Under the Surface


Geoökonomie – das klingt nicht nur aus Versehen etwas nach Geopolitik, nur mit anderen Mitteln. Der junge Professor für Politische Ökonomie, Milan Babić, hat schlicht nachgezeichnet, wie die großen Ideen der Globalisierung heute in einen kleinteiligen Apparat politischer Methoden zergliedert werden: Ausschlüsse vom gemeinsamen Zahlungssystem, Sanktionen, Investitionsentscheidungen. Politik wird heute mit Staatsfonds, Zentralbanken und mit Gerichtsentscheidungen gemacht. Die Hoffnung ist, irgendwie noch Herausforderungen zu meistern. Die Gefahr ist allerdings, das während der Globalisierung verloren gegangene (nationale) Wählerpublikum nun vollends aus dem Bild zu drängen. Letztlich befinden wir uns auf einem neuen Weg in dunkle Zeiten, gäbe es nicht wieder anschlussfähige politische Ideen, die wir alle teilen – die Bekämpfung des Klimawandels zum Beispiel oder die Bekämpfung der (diesmal westlichen) Armut. Wir besprechen es ausführlich. Dann führt uns Wolfgang in die neue Liebe in Familien und Stefan zu Apple in China. Weitere Literatur folgt und zum Schluss heute Jazz.

Komm’ in den Salon. Es gibt ihn via Webplayer & RSS-Feed (zum Hören im Podcatcher deiner Wahl, auch bei Apple Podcasts und Spotify). Wenn du Salon-Stürmer bist, lade weitere Hörer von der Gästeliste ein.

Literatur

  • Erleben wir gerade die Rückkehr der Geopolitik? Nein, sagt der politische Ökonom Milan Babić. Sein Buch “Geoökonomie. Anatomie einer neuen Weltordnung” macht nicht nur einen anderen Begriff, sondern auch einen anderen Blick auf die Welt stark. suhrkamp.de
  • In diesem Monat feiern wir den 150. Geburtstag von Thomas Mann. Dutzende Biographien gibt es schon über den vielleicht wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Tilmann Lahme hat eine weitere verfasst, die intime Einblicke gewährt und sich mit der konservativen Germanistik anlegt. dtv.de
  • Das amerikanische Außenministerium hat ein Märchen über das westliche Erbe geschrieben, um Europa auf MAGA-Linie zu bringen. statedept.substack.com
  • Hinein ins absurde, anstrengende, schöne Leben mit Kindern: Katharina Bendixen legt mit ihrem Band “Eine zeitgemäße Form der Liebe” beeindruckende Geschichten und experimentelle Kurzprosa rund um das Thema Mutterschaft vor. edition-nautilus.de
  • Patrick McGee hat ein erschütternd aufklärerisches Buch über Apples Arbeit in China geschrieben. simonandschuster.com
  • Andrea Jeska hat für “Die Zeit” mit jungen Ukrainern gesprochen, die keine Helden sein wollen und sich ein Ende des Krieges wünschen. Ein erschütterndes Dokument. zeit.de
  • Axios hat sich erkundigt, wie es um den drohenden Abbau von Einstiegsarbeitsplätzen steht. Tenor: Blutbad. axios.com
  • Was halten Rumänen von der EU? Florentin Cassonnet schreibt darüber in “Le Monde diplomatique”. monde-diplomatique.de
  • Wo leben die glücklichsten Menschen und was macht sie glücklich? Nicht wir, nicht hier! Eric Galbraith klärt aufschlussreich auf. spektrum.de und pnas.org
  • Filigraner, ungeheuer einfallsreicher Jazz: “Under The Surface” heißt das neue Album des Julia Hülsmann Quartetts, zu dem sich dieses Mal noch ein Ziegenhorn gesellt. ecmrecords.com

Shownotes

Vor dem Salon

Stefan und Wolfgang starten mit einem Blick auf aktuelle politische Ereignisse, darunter der Besuch des deutschen Kanzlers in Washington D.C. und die Debatte um Joe Bidens Gesundheitszustand, angestoßen durch ein Buch von Jake Tapper. Sie diskutieren George Clooneys Reaktion auf Bidens Zustand und die Rolle der Medien, insbesondere CNN. Es folgt eine breite Medienkritik, die sich mit der Oberflächlichkeit und dem Sensationalismus im Journalismus auseinandersetzt, am Beispiel von Spiegel Online und der allgemeinen Podcast-Produktion. Das Thema Vertrauensverlust in Medien und Politik wird anhand verschiedener Beispiele wie der Impfstoff-Kommunikation, Ursula von der Leyens SMS-Affäre und der Nord Stream 2-Sprengung vertieft. Stefan kritisiert die mangelnde Tiefe aktueller Berichterstattung und vergleicht sie mit der schnellen Informationsbeschaffung durch KI-Tools wie GPT. Die Diskussion weitet sich auf die Rolle von Journalisten im politischen System und die „Bankrotterklärung“ bestimmten Journalismus aus, illustriert am Buch von Jake Tapper und der Kritik von Jon Stewart. Wolfgang und Stefan parodieren die Vorhersehbarkeit mancher Politik-Podcasts. Es wird die These aufgestellt, dass deutsche Politiker wie Friedrich Merz im Grunde „gebändigte Donald Trumps“ seien, deren Egozentrik nur durch das deutsche System eingehegt werde. Ein zentraler Punkt ist die immense wirtschaftliche Macht von Konzernen wie Apple, dessen Wertsteigerung unter Tim Cook die Dimensionen traditioneller politischer Macht sprengt und die Notwendigkeit eines „Containments“ roher Marktkräfte aufzeigt. Die Einführung des Buches „Apple in China“ von Patrick McGee dient als Beispiel für diese gewaltigen ökonomischen Realitäten. Abschließend gibt es einen Ausblick auf die Themen im Salon-Teil, darunter Geoökonomie, eine Thomas-Mann-Biografie, zeitgemäße Liebe, Synkretismus, junge Ukrainer und Jazz. Stefan erwähnt zudem eine interessante Rückmeldung zum Thema „atheistisches Christentum“ und die inklusive Sprache päpstlicher Enzykliken. Die Diskussion schließt mit Überlegungen zur Organisationsform und dem „Containment“ durch Institutionen wie die katholische Kirche, auch ohne direkten Gottesbezug, und der Freude an gut funktionierenden Systemen und deren ästhetischer Inszenierung.

  • Buch: Buch von Jake Tapper über Joe Biden
  • Personen: Joe Biden, Jake Tapper, George Clooney, Jon Stewart, Elmar Thewissen, Friedrich Merz, Johannes Wadepuhl, Jens Hanefeld, Ursula von der Leyen, Rutger Bregman, Lars Klingbeil, J.D. Vance, Dario Amodei, Steve Bannon, Mark Zuckerberg, Jonas (Hörer), Thomas von Aquin, Tim Cook, Patrick McGee
  • Medien/Artikel: CNN, Spiegel Online, GPT, Substack (State Department), Axios, Spektrum der Wissenschaft
  • Konzepte: Geoökonomie, Synkretismus, Atheistisches Christentum, Tod-Gottes-Theologie, Containment
  • Institutionen: Steady, Patreon, Apple Podcasts

Salon für Mai 2025

Der kostenpflichtige Teil des Podcasts, der „Salon“, beginnt.

Milan Babić: Geoökonomie. Anatomie einer neuen Weltordnung

Wolfgang und Stefan diskutieren ausführlich das Buch „Geoökonomie. Anatomie der neuen Weltordnung“ von Milan Babić. Sie beleuchten die These des Buches, dass die neoliberale Globalisierung zwar beendet sei, die Globalisierung an sich aber in einer neuen Form – der Geoökonomie – fortbestehe. Dabei geht es nicht mehr nur um wirtschaftlichen Profit, sondern Staaten nutzen wirtschaftliche Verflechtungen und Abhängigkeiten gezielt für politische Zwecke (z.B. Sanktionen, Ausschluss aus SWIFT). Das Konzept des „Interregnums“ wird vorgestellt – eine Übergangsphase ohne klare neue Hegemonie, in der China trotz seiner Wirtschaftsmacht (noch) nicht die kulturelle Softpower der USA erreicht hat. Die Rolle des Staates ist wieder präsenter, und es kommt zu einer „Weaponization“ von Interdependenzen. Die Diskussion streift historische Periodisierungen der Globalisierung, die Bedeutung der WTO-Aufnahme Chinas 2001 und die Finanzkrise 2008 als Wendepunkte. Auch die Rolle von Persönlichkeiten wie Jake Sullivan und die Kritik am „Washington Consensus“ fließen ein. Es wird thematisiert, wie Unternehmen wie Apple in China agieren und wie deren Strategien (z.B. Diversifizierung der Lieferketten) paradoxerweise zu einer weiteren globalen Verflechtung führen können. Der „falsche Populismus“ wird als Reaktion auf die Verwerfungen der neoliberalen Ära und die aktuellen Unsicherheiten analysiert. Weitere Aspekte sind die Rolle von Staatsfonds, Zentralbanken, der Inflation Reduction Act und die Geopolitisierung der EU. Die Herausforderungen der Klimakrise und die Grenzen des Wachstumsmodells (Degrowth-Debatte) werden ebenso erörtert wie die Erosion des Vertrauens in demokratische Prozesse und die zunehmende Kluft zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung. Die Gefahr eines Rechtsrucks und die Notwendigkeit einer „revolutionären Attitüde“ für progressive politische Projekte werden debattiert, wobei die Frage aufkommt, ob Innen- oder Außenpolitik der Hebel für Veränderungen sein sollte.

  • Buch: Milan Babić: „Geoökonomie. Anatomie der neuen Weltordnung“ (Suhrkamp)
  • Buch: Brad Smith: „Tools and Weapons“
  • Buch: Aaron Benanuff (implizit erwähnt durch Thema Überkapazitäten)
  • Personen: Milan Babić, Tony Blair, Bill Clinton, Gerhard Schröder, Angela Merkel, Jake Sullivan, Francis Fukuyama, Quinn Slobodian, Ursula von der Leyen, Lindsey Graham, Adam Tooze, Anthony Scaramucci, Margaret Thatcher, Alex Karp, Donald Trump, Ulrike Herrmann, Albrecht von Lucke, Pistorius, Daniel Deutney, John Ikenberry, Stephen Gill, Isabella Weber, Martin Wolf, Thomas Friedman, Röttger Brechmann, Jordan Peterson, Kevin Kühnert, Sandra Maischberger, Heidi Reicheneck, Markus Lanz, Jan van Aken, Carlo Masala, Strack-Zimmermann, Paul Ronzheimer, Daniel Gerlach.
  • Konzepte: Geoökonomie, Geopolitik, Neoliberalismus, Globalisierung, Interregnum, Softpower, Weaponization, SWIFT, Sanktionen, WTO, Washington Consensus, Degrowth, falscher Populismus, Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS), Inflation Reduction Act (IRA), Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), Technonationalismus.

Geoökonomie in 1 Minute

Wolfgang fasst die Kernthesen von Milan Babićs Buch „Geoökonomie“ zusammen: Die neoliberale Globalisierung ist vorbei, aber die Globalisierung geht als Geoökonomie weiter, in der Staaten wirtschaftliche Verflechtungen für politische Ziele nutzen. Dies führt zu Verunsicherung und dem Aufstieg des „falschen Populismus“. Stefan ergänzt, dass das Buch trotz der ernsten Lage Hoffnung mache und als inspirierende Analyse der Zeit von 1945 bis 2025 diene, die Auswege aus der drohenden Krise aufzeige.

  • Buch: Milan Babić: „Geoökonomie. Anatomie der neuen Weltordnung“

Tilmann Lahme: Thomas Mann

Wolfgang stellt Tilmann Lahmes Biografie „Thomas Mann, ein Leben“ vor. Der Fokus des Buches liegt auf dem privaten Thomas Mann und wie seine unterdrückte Homosexualität und seine ungelebten Lieben sein Werk prägten. Die Bedeutung seiner Tagebücher, auch der zensierten und erst spät veröffentlichten Teile, wird hervorgehoben. Ein wichtiger Aspekt ist die Beziehung zu seinem Jugendfreund Otto Krauthoff und die bisherige Zurückhaltung der Thomas-Mann-Forschung bezüglich seiner Homosexualität. Das komplexe und oft unglückliche Familienleben der Manns (mit Katja, Klaus, Erika, Golo, Monika) und deren eigene Auseinandersetzungen mit Liebe und Sexualität werden detailliert geschildert. Beispiele wie Thomas Manns Essay über die Ehe, seine Verliebtheit in Klaus Häuser und die Verarbeitungen dieser Erlebnisse im Werk (z.B. im „Doktor Faustus“ oder die Figur Peperkorn im „Zauberberg“ nach Gerhard Hauptmann) illustrieren die enge Verschränkung von Leben und Literatur. Auch Susan Sontags frühe Begegnung mit Thomas Mann und ihre Texte darüber finden Erwähnung. Wolfgang lobt Lahmes eleganten Stil und die Tatsache, dass er Thomas Mann nicht imitiere, stellt aber auch die Frage, inwieweit dieser intime Blick das Verständnis des literarischen Werks an sich erweitert oder eher auf einen Spezialfall einengt.

  • Buch: Tilmann Lahme: „Thomas Mann, ein Leben“
  • Personen: Thomas Mann, Tilmann Lahme, Katja Mann, Klaus Mann, Erika Mann, Golo Mann, Monika Mann, Otto Krauthoff, Pamela Wedekind, Gustav Gründgens, Klaus Häuser, Gerhard Hauptmann, Susan Sontag.
  • Werke von Thomas Mann: Die Buddenbrooks, Der Zauberberg, Doktor Faustus, Felix Krull, Tagebücher.

State Department: The Need for Civilizational Allies in Europe

Stefan analysiert einen Artikel von Samuel Samson aus dem US State Department, veröffentlicht auf Substack, mit dem Titel „The Need for Civilizational Allies in Europe“. Der Text konstruiert eine direkte genealogische Linie von Athen und Rom über das mittelalterliche Christentum und das englische Common Law bis zur amerikanischen Gründung und Europas Zukunft, um ein gemeinsames westliches Zivilisationserbe zu postulieren. Diese Traditionslinie wird als Argument für eine engere, wertebasierte Allianz genutzt, wobei Europa kritisiert wird, von diesen gemeinsamen Werten abzuweichen (digitale Zensur, Massenmigration, Einschränkung der Religionsfreiheit). J.D. Vances Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird zustimmend zitiert. Stefan kritisiert die selektive und historisch oft unhaltbare Nutzung von Konzepten wie dem Naturrecht. Er stellt verschiedene theoretische Begriffe vor, um dieses Phänomen der zweckdienlichen historischen Rekombination zu fassen: Synkretismus, genealogische Fabrikation, Bricolage, hegemoniale Appropriation, strukturelle Kopplung heterogener Semantiken und ideologische Sutur. Die Übersetzung des Textes durch DeepL und Claude wird ebenfalls kurz thematisiert, wobei Claude auf eine ideologische Glättung des aggressiven Originaltons durch die Übersetzung hinweist.

  • Artikel: Samuel Samson: „The Need for Civilizational Allies in Europe“ (State Department Substack)
  • Personen: Samuel Samson, J.D. Vance, Francis Fukuyama, Aristoteles, Thomas von Aquin, Adam Smith-Connor, Livia Tosicci-Bold, Minister Rubio, Niklas Luhmann, Levi-Strauss, Gramsci, Žižek.
  • Konzepte: Naturrecht, Synkretismus, Genealogische Fabrikation, Bricolage, Hegemoniale Appropriation, Ideologische Sutur, Historische Aneignung.
  • Institutionen/Gesetze: EU Digital Services Act.

Katharina Bendixen: Eine zeitgemäße Form der Liebe

Wolfgang bespricht Katharina Bendixens Buch „Eine zeitgemäße Form der Liebe. Parentale Prosa“. Das Buch versammelt Kurzprosa, Geschichten, Träume, Fragebögen und sogar Chatverläufe, die sich experimentell und facettenreich mit Mutterschaft, Elternschaft und dem Leben mit Kindern auseinandersetzen. Ein Beispiel ist eine fiktive Abschlussprüfung mit Aufgaben zu Elterngeld oder der Armut von Alleinerziehenden. Besonders hebt Wolfgang die erzählerische Kraft der Geschichten hervor, wie die von Rosa Freitag, der eine Sonnenblume aus dem Ohr wächst, oder „Der Spalt“, die das Unheimliche im Vertrauten der elterlichen Wohnung thematisiert. Die Geschichte „Soviel Glück“ wird ausführlicher vorgestellt: Eine Mutter wird Zeugin eines Unfalls, während sie mit ihren eigenen alltäglichen Sorgen (Kind nicht einschlafen lassen, Pappröhren für den Kindergarten besorgen) und Müdigkeit kämpft. Die Erzählung fängt meisterhaft die Überlagerung von dramatischen Ereignissen und banalen Alltagsgedanken ein, inklusive einer Reflexion über den Bechtel-Test. Wolfgang lobt Bendixens Fähigkeit, das Alltägliche literarisch zu verdichten und dabei authentisch zu bleiben.

  • Buch: Katharina Bendixen: „Eine zeitgemäße Form der Liebe. Parentale Prosa“ (Edition Nautilus)
  • Konzepte: Bechtel-Test (Alison Bechtel).

Patrick McGee: Apple in China

Stefan stellt das Buch „Apple in China“ von Patrick McGee vor und untermauert die Diskussion mit beeindruckenden Zahlen: 90% der Apple-Produkte werden heute in China hergestellt, mit enormen Produktions- und Verkaufssteigerungen über die Jahre. Apple erreichte unter Tim Cook eine Marktkapitalisierung von 3 Billionen Dollar, was einem durchschnittlichen täglichen Wertzuwachs von 700 Millionen Dollar über elf Jahre entspricht. Das Buch beleuchtet, wie Apple durch seine hohen Qualitätsansprüche und Investitionen die Fertigungsindustrie in Südostasien und später massiv in China prägte. Die Rolle von Foxconn und dessen Gründer Terry Gou wird als entscheidend dargestellt, der Apple billige Produktion ermöglichte und eine „klebrige Beziehung“ schuf. Schon 2005 erkannte Steve Jobs, dass es für Apple keinen Weg zurück aus der China-Produktion gab. Apple wurde zum weltgrößten Hersteller ohne eigene Fabriken. Unter Xi Jinping änderte sich das politische Klima in China hin zu einer „Rule by Law“-Tradition, die westliche Unternehmen zu „freiwilligen“ Anpassungen zwang. Eine interessante Strategie Apples war es, seine chinesischen Zulieferer zu ermutigen, auch den Android-Markt zu beliefern, um eine Überabhängigkeit von Apple zu vermeiden und gleichzeitig die Produktionskapazitäten auszulasten – damit „gebar“ Apple quasi die chinesische Smartphone-Industrie. Das Buch argumentiert, dass Peking Apple erlaubte, seine Arbeiter auszubeuten, damit China im Gegenzug Apple für den eigenen technologischen Aufbau ausbeuten konnte. Eine Abkehr Apples von China hält Stefan für nahezu ausgeschlossen.

  • Buch: Patrick McGee: „Apple in China“
  • Personen: Patrick McGee, Steve Jobs, Steve Wozniak, Patty Jobs, Robert Brunner, James Fallows, Terry Gou, Tim Cook, Xi Jinping.
  • Unternehmen: Apple, Foxconn (Hon Hai), Huawei.
  • Konzepte: Geoökonomie, Rule by Law.

Andrea Jeska: „“Dann soll man uns fliehen lassen, dann ist die Ukraine eben verloren

Wolfgang zitiert aus einem Artikel von Andrea Jeska in „Die Zeit“, der junge Ukrainer zu Wort kommen lässt, die nicht mehr kämpfen wollen. Sie äußern sich desillusioniert über ihre Regierung, die EU und den Krieg. Viele sehen Gebietsverluste als kleineres Übel im Vergleich zu weiterem Sterben und werfen der eigenen Führung Machtgier und Täuschung vor. Die jungen Männer fühlen sich von der EU und westlichen Politikern benutzt und kritisieren, dass Konzepte wie Land, Stolz und Ehre missbraucht würden, um sie zu manipulieren. Einige sehen in Donald Trump eine Figur, die zumindest handelt, während sie die EU-Politiker als Versager betrachten. Die Angst vor dem Tod, die brutale Realität an der Front und die Sorge vor einer Zunahme von Gewalt und Nationalismus im eigenen Land nach dem Krieg prägen ihre Aussagen. Sie betonen, dass es die Ukrainer sind, die den Preis für die politischen Forderungen nach Durchhalten und Nicht-Aufgeben zahlen.

  • Artikel: Andrea Jeska: „“Dann soll man uns fliehen lassen, dann ist die Ukraine eben verloren““ (Die Zeit)
  • Personen: Andrea Jeska, Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump, Wladimir Putin, Roderich Kiesewetter.

Axios: Behind the Curtain: A white-collar bloodbath

Stefan diskutiert einen Axios-Artikel über die drohenden massiven Jobverluste im Bürobereich durch KI. Dario Amodei, Chef von Anthropic, warnt davor, dass 50% der Einstiegsjobs wegfallen könnten, die Politik diese Gefahr aber nicht erkenne oder ernst nehme. Steve Bannon prognostiziert, dass dies den US-Präsidentschaftswahlkampf 2028 prägen wird. Amodei betont die Notwendigkeit, den durch KI geschaffenen Wohlstand umzuverteilen, und schlägt eine „Tokensteuer“ auf die Nutzung von KI-Modellen vor (z.B. 3% der Einnahmen an den Staat). Wolfgang äußert Skepsis gegenüber solchen Steuermodellen und vergleicht sie mit der Finanztransaktionssteuer, deren Ertragspotenzial oft überschätzt werde. Stefan argumentiert, dass trotz der aktuellen Vollbeschäftigung die Ersetzung von menschlicher Arbeit durch KI zu einem Wegfall von Lohn- und Steuerzahlungen führen werde, dessen Volumen man genau beobachten und politisch gegensteuern müsse, möglicherweise durch radikale Gewinnbesteuerung von Unternehmen, die von KI profitieren. Er verweist darauf, dass die großen KI-Anbieter bereits teure Premium-Modelle anbieten, die auf eine Professionalisierung und Monetarisierung der KI-Nutzung hindeuten.

  • Artikel: Axios: „Behind the Curtain: A white-collar bloodbath“
  • Personen: Dario Amodei (Anthropic), Steve Bannon, Mark Zuckerberg, Joe Rogan, Albert Wenger (implizit).
  • Unternehmen/Technologien: Anthropic, OpenAI (GPT), Claude 4, Gemini, Microsoft, Walmart, CrowdStrike.
  • Konzepte: KI-Jobverluste, Tokensteuer, Robotersteuer, Umverteilung, One-Man-Unicorn.

Florentin Cassonnet: Was Rumänen von Europa halten

Wolfgang zitiert aus einem Artikel von Florentin Cassonnet in „Le Monde Diplomatique“ über die EU-Skepsis in Rumänien. Ein Vertreter der rechtsextremen Partei AUR, Marius Tudori, äußert sich kritisch zur EU, sieht die nationale Souveränität bedroht und findet Vorbilder in Donald Trump und Viktor Orbán. Der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Kosten verstärken diese Haltung. Trotz eines verdreifachten BIPs seit dem EU-Beitritt 2007 fühlen sich viele Rumänen als Verlierer der Globalisierung, was auch an der hohen Inflation und der massiven Auswanderung (6,5 Millionen Rumänen im Ausland) liegt. Das Land muss Arbeitskräfte aus Asien anwerben. Die Geschichte von Dina Bumbac, die in Italien unter prekären Bedingungen gearbeitet hat und nun eine minimale Rente erhält, illustriert die Enttäuschung. Der Artikel macht deutlich, dass die EU-Feindlichkeit auch durch das Versäumnis Rumäniens genährt wird, den erwirtschafteten Wohlstand gerechter umzuverteilen.

  • Artikel: Florentin Cassonnet: „Was Rumänen von Europa halten“ (Le Monde Diplomatique)
  • Personen: Florentin Cassonnet, Marius Tudori, Donald Trump, Viktor Orbán, Nicolae Ceausescu, Marcel Ciolacu, Dina Bumbac.
  • Parteien/Institutionen: AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen).

Eric Galbraith: Arme Gesellschaften zählen zu den glücklichsten der Welt

Stefan stellt eine Studie von Eric Galbraith (McGill University) vor, die in „Spektrum der Wissenschaft“ besprochen wurde. Die Forschung, basierend auf Interviews mit fast 3000 Menschen in 19 indigenen Gemeinschaften, die von weniger als 1000 Dollar im Jahr leben, zeigt, dass diese Gruppen oft eine höhere Lebenszufriedenheit aufweisen (durchschnittlich über 8 von 10 Punkten) als Menschen in wohlhabenden Ländern. Dies widerspricht der Annahme, dass wirtschaftlicher Wohlstand direkt zu mehr Glück führt (Easterlin-Paradox). Die Studie fand eine nur geringe Korrelation zwischen Geld und Glück. Entscheidender für die Zufriedenheit in diesen Gemeinschaften scheinen soziale Beziehungen, Naturverbundenheit und Gleichheit zu sein. Stefan sieht darin eine Bestätigung für die Notwendigkeit, materielle Grundlagen und das Narrativ vom wachstumsbasierten Glück neu zu überdenken und erkennt Parallelen zu befreiungstheologischen Ansätzen und der Idee eines „gottlosen Katholizismus“.

  • Artikel/Studie: Eric Galbraith (McGill University), besprochen in Spektrum der Wissenschaft.
  • Konzepte: Lebenszufriedenheit, Easterlin-Paradox, Cantril-Leiter, Geld-Glücks-Korrelation.

Julia Hülsmann Quartet: Under The Surface

Zum Abschluss empfiehlt Wolfgang die neue CD „Under The Surface“ des Julia Hülsmann Quartetts, erschienen bei ECM Records. Das Quartett, diesmal erweitert zum Quintett durch Hildegunn Øiseth an Trompete und dem seltenen Ziegenhorn, liefert vielschichtigen Jazz. Wolfgang hebt besonders den lyrischen und zugleich fragilen Klang des Ziegenhorns im Stück „Bubbles“ hervor. Die Musik zeichnet sich durch komplexe Rhythmen, filigrane Passagen und eine Dynamik aus, die Aufmerksamkeit erfordert. Er lobt die handgemachte Qualität des Albums und die Art, wie es Stimmungen evoziert und mit der Form arbeitet, was es auch für Nicht-Jazz-Hörer zugänglich mache.

  • Album: Julia Hülsmann Quartet: „Under The Surface“ (ECM Records)
  • Musiker: Julia Hülsmann, Hildegunn Øiseth.
  • Instrument: Ziegenhorn.
  • Titel: „Bubbles“.

Ein Gedanke zu „Geoökonomie, Apple in China, Thomas Mann, Zeitgemäße Liebe, Synkretismus, Junge Ukrainer, Jazz Under the Surface

  1. Stefan K

    Wolfang empfiehlt Jazz – dass ich das noch erleben darf! Er wird immer mehr zum Roger Willemsen unserer Generation 😉
    Wer sich vom Ziegenhorn verunsichert fühlt, kann den Einstieg ins Hülsman-Œuvre auch über ihre Versionen von „Kiss from a Rose“, „Alabama Song“ oder „This is not America“ (zur ersten Trump-Amtszeit erschienen) versuchen. Und eine der tollsten ECM-Platten ist immer noch „Moderato Cantabile“ von Anja Lechner & François Couturier (Klassik). Schöne Pfingsten!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert