Salon

10/2020David Graeber Bullshit Jobs, Kaiser über Karl Lagerfeld, Woodward über Trump, Mode, Plastik, China

David Graeber hat vor zwei Jahren etwas Ungehöriges gewagt und unserer modernen Arbeitswelt ihre Sinnhaftigkeit abgesprochen. Seine Frage: Was würde passieren, würden wir die globale Arbeitsmaschine einfach mal anhalten? Es ginge nicht viel kaputt, lautete seine These. Und nebenbei retteten wir noch das Klima. Heute, nach David Graebers überraschendem Tod im August und mitten in #Corona haben wir das Buch nochmal gelesen und wir stellen fest: David Graeber hat recht! Seine große These stimmt und seine kleinen Beobachtungen umso mehr. Wir gehen den Text heute noch einmal durch. Selten hat ein zeitdiagnostisches Buch nach seiner Veröffentlichung so an Bedeutung und Erklärungskraft gewonnen.

Nicht nur für Graeber haben wir uns heute in Schale geworfen. Stefan trägt einen Anzug, Wolfgang sogar Lagerfeld. Denn sie ist da, die große Abhandlung von Alfons Kaiser zu Karl Lagerfeld. Das Maß an Extravaganz und Exzess bleibt wohl unerreicht. Der Text stellt sich dem unmöglichen Vorhaben, uns Normalmenschen das trotzdem zu erklären. Ebenso groß ist die Aufgabe, die sich Bob Woodward stellt. Regelmäßig schreibt er über die amerikanischen Präsidenten. Das zweite Buch über Donald Trump lässt uns den Präsidenten nochmal etwas besser verstehen. Doch das wird ihm im Wahlkampf nichts mehr nützen. Woodwards Urteil ist deutlich.

Die Themen Trump und Corona haben sich nun schicksalshaft miteinander verschränkt. Wir blicken auf eine soziologische Erklärung zum Infektionsgeschehen. Wir lesen Thesen zu China, zu Problemen mit Sturmgewehren, wir erklären die große Plastik-Recycling-Lüge und wir blättern durch die Zeit.

Komm‘ in den Salon. Es gibt ihn via Webplayer & RSS-Feed (zum Hören im Podcatcher deiner Wahl). Die Septemberausgabe ist ein zweieinhalbstündiges Gespräch über die genannten Texte.

Literaturliste

  1. Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“: Die kenntnisreiche und elegant geschriebene Biographie von Alfons Kaiser schildert eine beeindruckende Karriere und porträtiert einen Mann, der wie kein anderer die Mode gelebt hat und sich schließlich selbst in ein Logo verwandelte.
  2. David Graeber – Bullshit Jobs“ Diese Abhandlung der Differenz von „Bullshit“ und „Shit“-Jobs ist nicht nur eine gute Erklärung vieler Fragen, die uns Corona stellt. Es ist auch eine Betriebsanleitungen und Argumentequelle für notwendige politische Debatten.
  3. Dear brands, please stop citing nature as your inspiration“: Heather Snowden blickt auf Burberry und andere Modekonzerne, die sich für ihre Shows von Waldbränden inspirieren lassen: Dazu auch ein Statement von Extinction Rebellion an die Modeindustrie
  4. Unter der Beobachtung „Kultur und Infektionsrate hängen zusammen“ fasst Christiane Gelitz zwei Studien zusammen, die anhand von „Beziehungsmobilität“ das Corona-Infektionsgeschehen aufschlüsseln. Wir lernen, warum die Rentnerrepublik Deutschland so gut durch die Krise kommt.
  5. Ein Sieg für Klein-Sparta“: Melanie Bergermann und Rüdiger Kiani-Kress über den Auftrag zum Bau des neuen Sturmgewehrs der Bundeswehr an C.G. Haenel – und was Abu Dhabi damit zu tun hat. Inzwischen versucht Heckler & Koch sich einzuklagen
  6. Laura Sullivan erklärt in „How Big Oil Misled The Public Into Believing Plastic Would Be Recycled„, dass wir seit 50 Jahren von der Öl-Industrie veralbert werden. „Recycling“ hat es nie gegeben, es war alles nur gutes Marketing.
  7. Starker Start mit ‚Magic Mushrooms‘“: Astrid Dörner und Sebastian Matthes über den Börsengang der Aktie der Biotech-Firma Compass Pathways, an der auch der deutsche Investor Christian Angermayer beteiligt ist. Die magischen Pilze sollen wirksam gegen Depressionen sein – aber dieser Einsatz ist vielleicht erst der Anfang.
  8. Bob Woodward schreibt viele Bücher über die amerikanischen Präsidenten. Sein aktuelles Werk über Trump, „Rage„, ist etwas merkwürdig aufgebaut, das finale Urteil über den Präsidenten aber eindeutig.
  9. The west should heed Napoleon’s advice and let China sleep“: Kishore Mahbubani, Politologe und Diplomat aus Singapur, nennt drei fundamentale Fehler des Westens im Umgang mit China
  10. Wir blättern durch „Die Zeit“ (Ausgabe 40) und stoßen auf eine komische Aussage von Edward Snowden zur Corona-App. Zum Abschluss lesen wir interessante Zahlen zur TikTok-Video-Produktion im Vergleich zum Film.
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Mathias

4 Gedanken zu „David Graeber Bullshit Jobs, Kaiser über Karl Lagerfeld, Woodward über Trump, Mode, Plastik, China

  1. Marie

    Zum Thema Bullshit-Jobs: Ich weiß nicht, ob ich damit Euch oder den Autor kritisiere (weil ich das Buch nicht gelesen habe). Aber Eure Kategorisierung scheint mir einerseits zu schwarz-weiß, und andererseits schwankt Ihr in Eurer Diskussion, meiner Wahrnehmung nach, ständig zwischen der internen und der externen Beurteilung von Jobs.
    1) Gesellschaftlich betrachtet gibt es wahrscheinlich eindeutig überflüssige und eindeutig notwendige Jobs. Und bestimmt gibt es auch Leute, die das für sich selber so klar definieren können. Meine These wäre allerdings, dass die übergroße Zahl der Menschen genau damit hadern, dass sie das eben nicht wirklich sagen können — und übrigens auch schon vor Corona. Ein Porsche-Designer kann, um auf Euer Beispiel zurückzukommen, doch mit guten Argumenten sowohl finden, dass seine Arbeit egal ist (kommt das neue Auto eben ein Jahr später raus), als auch, dass sie total wichtig ist (z.B. weil ein gut designtes Auto weniger Sprit verbraucht). Relevanz, Wirkung, Bedeutung … das sind ja total langfristige Kategorien, und darin entsteht die Reibung, dass eine Tätigkeit Tag für Tag belanglos erscheint, aber in Summe trotzdem nicht egal ist.
    2) Es ist total interessant auf die Selbstdefinition derjenigen zu schauen, die die Arbeit machen. Das finde ich einen spannenden Dreh. Aber dann muss man sich eben auch jede externe Beurteilung verkneifen — sonst bricht man dieses Kriterium sofort wieder. Nochmal Porsche: Es ist nicht unsere Aufgabe als Leser*in die Sinnhaftigkeit des Jobs zu beurteilen, egal wie doof wir Autos finden mögen (wenn wir denn dem Autor in seiner Methodik folgen), sondern entscheidend ist eben die interne Perspektive.

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    1. Stefan Beitragsautor

      1) … deswegen hat Graeber ja das Spiel-Argument: In innerer Logik hat der Porsche-Design-Job viel Sinnhaftigkeit. Er unterhält Einkommen für viele Familien, er bringt das Unternehmen weiter, er führt zu Steueraufkommen. All das ändert aber nichts daran, dass keine der Arbeitsresultate vermisst werden, wenn wegen Corona oder Anderem plötzlich diese Arbeit nicht mehr erledigt wird. Und diese Erkenntnis schleicht sich ins Bewusstsein der Betroffenen.
      2) Wieso soll man sich die Fremdbeschreibung „verkneifen“? Es ist doch gerade Sinn und Anliegen die Selbstbeschreibungen gerade nicht so stehen zu lassen.

  2. Marie

    Okay, den 2. Punkt sehe ich ein.

    Aber bei dem ersten Gedanken bin ich nicht überzeugt, es geht nicht nur um innere Sinnhaftigkeit. Umweltfreundliche Autos sind nicht nur in innerer Logik bedeutungsvoll, und wenn Leute nicht mehr an Luftverschmutzung sterben ist das auch ein Beitrag zur Gesunderhaltung der Gesellschaft (um das Argument mal zuende zu strapazieren).

    Die Tatsache, dass etwas nicht vermisst würde bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass es sinnlos ist. Das ist kein gutes Kriterium, denn das wird zu schnell zum Totschlagargument gegen jede Entwicklung: vor 50 Jahren hat auch niemand die Handys vermisst, vor 200 Jahren hat niemand … usw. Wie weit zurück will man gehen? Kann man nicht immer erst im Nachhinein feststellen, was sich gelohnt hat? Ganz viel Arbeit geschieht als Such-Bewegung in eine offene Entwicklung. Vieles davon wird Quatsch bleiben, vieles verläuft sich oder richtet sogar Schaden an — aber manches wird gut und bringt uns weiter. Unmittelbares Erleben von Sinnhaftigkeit und unmittelbar sichtbare Notwenigkeit für die Gesellschaft übersieht m.E. einfach die langen Entwicklungen.

    Von dieser Art zu arbeiten würde ich gerne das unterscheiden, was AN SICH unproduktiv ist und keine tätige Arbeit darstellt (Empfang und sowas, das hattet Ihr ja auch als Beispiel). Wieso sollten wir Arbeiten, die niemals zu irgendwas führen KÖNNEN mit solchen, die nur nicht unmittelbar und offensichtlich nötig sind, in eine Kategorie schmeißen und als Bullshit-Jobs abwerten?

    Aber vielleicht muss ich das Buch dann doch mal lesen, um zu wissen, ob ich hier mit Euch oder mit dem Autor diskutiere 🙂 Danke jedenfalls für die Anregung!

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