Peter Sloterdijks Europabuch ist, was der Name sagt, ein Buch über Europa, das einen Autor hat, der sich aber als Leser versteht, denn die Gesprächsgrundlage ist Europa selbst. Der Kontinent und seine Geschichte als Buch zum Blättern und Stöbern. Sloterdijk hat also Lesezeichen geschrieben, die wir nun lesen, und obwohl Zeichen nur auf etwas verweisen und die Lücke zur Lektüre gehört, fehlt uns doch einiges. Selten haben wir uns von einem Buch so inspirieren lassen und selten trotz Wohlwollen so scharf geurteilt. Des Weiteren klären wir heute weitere grundlegende Fragen. Das Bundesverfassungsgericht befindet demnächst über Publikationen als Gefahr fürs Grundgesetz, und Filmhersteller schreddern ihre Werke, weil ihnen das mehr Profite als durch ein Publikum verspricht. Wir suchen einen guten Namen für vernünftige Wirtschaftspolitik und lesen brasilianische Literatur.
Komm’ in den Salon. Es gibt ihn via Webplayer & RSS-Feed (zum Hören im Podcatcher deiner Wahl, auch bei Apple Podcasts und Spotify). Wenn du Salon-Stürmer bist, lade weitere Hörer von der Gästeliste ein.
Literatur
- Peter Sloterdijk porträtiert in seinem neuen Buch Europa als „Kontinent ohne Eigenschaften“. Der Philosoph befragt alte klassische wie fast vergessene Texte, um „Lesezeichen im Buch Europa“ zu legen. suhrkamp.de
- Der brasilianische Schriftsteller Victor Heringer wurde keine 30 Jahre alt. Im März-Verlag erscheint nun sein ergreifender Roman „Die Liebe vereinzelter Männer“ (aus dem Portugiesischen von Maria Hummitzsch), der einen Bogen von der Militärdiktatur bis zur Gegenwart spannt. maerzverlag.de
- Die Ökonomin Isabella Weber spricht im Jacobin Magazin über eine neue Wirtschaftspolitik. Ihr fehlt nur noch der richtige Name. jacobin.de
- Die KI scheint über der Materialität der Welt zu schweben, doch der Eindruck ist falsch. Kate Crawford nimmt in ihrem Buch „Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den Datenimperien“ einen anderen, sehr erhellenden Blick auf das Phänomen ein. chbeck.de
- Livia Gerster hat in der F.A.Z. den Fauxpas-Fundus von Friedrich Merz zum Thema Frauen in Politik und Wählerschaft zusammengestellt. faz.net
- Fertig produzierte Filme, die nie erscheinen? Für die Filmindustrie in Hollywood ist es inzwischen manchmal lukrativer, Filme nicht mehr zu veröffentlichen, sondern zu zerstören. Darüber schreibt Ciara Moloney in „Current Affairs“. currentaffairs.org
- Lässt sich die Verfassung schützen, indem die Politik Medien verbietet? Frederik Ferreau führt die Diskussion in „Kommunikation & Recht“. ruw.de
- Wenn Politiker oder Medienleute beleidigt werden, dann schalten sie jetzt gern ein Start-up ein, um dagegen vorzugehen (und um Geld zu verdienen). Der „Spiegel“ stellt das Unternehmen vor. spiegel.de
- Die NYT hat die Resultate der Demokratie-Mathematik der Präsidentschaftswahl Trump vs. Harris mit drastischen Worten zusammengestellt. nytimes.com
- Lucas Debargue ist einer der interessantesten und klügsten Pianisten unserer Zeit. Jetzt hat er das gesamte Klavierwerk von Gabriel Fauré eingespielt. sonyclassical.de
„Warum entwickelt sich denn anderswo keine Alternative zum Universalismus? Warum sind die so anti-westlich u. europäisch?“
Verzeihung, aber das ist doch auch wieder etwas blind im Sinne von, wie wirkungsvoll das Wirken von westlichen Mächten insgesamt war. Die Akademiker haben dafür auch ein Wort: Blowback. Grob gesagt, förderte sowas wie die CIA oder NATO eher Faschisten und Autokraten bevor man kommunistisch anmutenden Ideen gedeihen ließ. Das führt dann nun mal zu solchen Dingen wie, dass man westlichen Universalismus prinzipell ablehnt und Ressentimentsgefühle entwickelt und sich nicht die Frage stellt, ob alles tun jetzt richtig und gut sein muss.
Dazu muss man auch nochmal daran erinnern, dass die USA immer noch weltweit da sind und jegliches Schaffen immer noch in diesem Horizont des Universalismus stattfindet. Also, man begründet sowohl die Unterstützung Israels als auch die Kritik an Israel mit dem Universalismus und Menschenrechte und westlicher Moral. Da entwickelt sich eher kaum was eigenes oder macht einen großen Widerspruch auf.
zum Salon Teaser: Ich konnte leider weder beim Thema „Hunter Bidens Begnadigung“ noch bei „ab 18 einziehen“ Steffens Argumentation nachvollziehen. Ich verstehe nicht, wie man Bidens Begnadigung rechtfertigen kann, nur weil potenziell Trump in Zukunft das Gleiche in einem größeren Ausmaß macht. Aus Sicht des Familienvaters Biden ist es natürlich vollkommen nachvollziehbar, aber als Präsident einer Demokratie ist das ein No-Go und es gilt dies in JEDEM Fall zu verurteilen. Bei dem Thema „ab 18 einziehen“ hatte ich das Gefühl, er wollte einfach mal widersprechen, um dann in seiner Argumentation in andere Themen abzudriften und irgendwas von neuen Grundbegriffen zu erzählen;) Man hätte auch Wolfgang einfach recht geben können:D
Krieg/ Militärwesen st der übelste Ausdruck von Herdentrieb, und dafür braucht es vor allem 20-Jährige! Für die Front gibt es leider keine Alternative.
1. Das Reaktionsvermögen, die Millisekunden am Abzug, verschlechtern sich ab dem 25. Lebensjahr.
2. Dreißigjährige lassen sich nicht mehr so effektiv und geschliffen drillen.
Wird eine Bresche in die Linien geschlagen, muss alles, um zu überleben, nahezu automatisch ablaufen. Koordination und Geschwindigkeit sind entscheidend.
Krieg ist eine averse Selektion, und das läuft seit Jahrtausenden so. Die Römer kannten die Dezimierung: Bei Fahnenflucht wurde jeder zehnte Soldat einer Legion hingerichtet. Die Nazis führten Sippenhaft ein und zentrale Hinrichtungsstätten.
In einem Krieg, in dem alles auf dem Spiel steht, bleibt das unausweichlich. Würde man solche Maßnahmen nicht ergreifen, wären im Umkehrschluss Kinder und Zivilisten gefährdet.
Ein schwacher Mann wird weder geachtet noch geschont. Die Gesellschaft hat Angst vor ihm – vor seinem potenziellen Verrat.
Im Krieg gibt es keine soziale Auswahl wie im Arbeitsrecht. Natürlich gibt es fitte 40-jährige Frauen ohne Kinder, vielleicht sogar mehr als 19-jährige Buben.
Aber wenn wir an dem Punkt sind, 40-jährige Frauen mit Hunden und 19-jährige Buben zu vergleichen, können wir genauso gut Wohnungslose mit ungewollt Schwangeren oder Pflegeheimstrukturen vergleichen.
Man könnte z. B. 10 Milliarden Euro aus dem Pflegesystem nehmen, wodurch alte Menschen 1–4 Jahre früher sterben würden, weil die Betreuung stressiger wird. Gleichzeitig könnte man 500.000 schwangeren Frauen in Deutschland je 10.000 Euro anbieten, wenn sie die Schwangerschaft nicht abbrechen.
Vor diesem Hintergrund fände ich das legitim, da jede dritte Schwangerschaft ungewollt oder ungeplant ist. Bei Vergewaltigung würde man natürlich andere Regelungen treffen, sodass kein falscher Anreiz entsteht.
Als Vater eines Kindes finde ich, dass jeder vor dem Tod Angst hat, aber wenn man ein Kind hat, fürchtet man weniger den eigenen Tod, sondern die Tatsache, das Kind in dieser Phase nicht mehr vor Unheil schützen zu können. Man würde sein Leben für das Kind geben, aber das kann man eben nur einmal tun.
Wir sind ein Land mit kaputter Infrastruktur und ohne Zukunft für 20-Jährige. Ein Land, das mehr Geld für Pflegeheime als für Kindergärten, Schulen und Universitäten ausgibt.
Demokratische Veränderungen scheinen unmöglich, weil für junge Menschen nichts getan wird. Vielleicht könnte man durch gezielte Geschichten und Provokation etwas bewegen.
Frauen müssen meiner Meinung nach nicht noch besser bezahlt werden. Sie profitieren bereits von teuren Mieten, Home-Office, Bologna, sozialen Medien und Dating-Apps.
Als Mann, besonders als Vater oder jemand, der eine Familie gründen möchte, fällt es schwer, Forderungen zu stellen. Es fühlt sich an, als würde man damit gegen die Evolution gehen.
Eltern sind später einfach verantwortlich vor der Natur und dem Leben. Für das Ackern, um dem Kind ein gutes Leben zu ermöglichen, gibt es kein Mitleid.
Bezüglich Krieg bin ich mir nicht sicher, wie das aktuell läuft. Sind es Think Tanks, die die Lunte legen? Oder sind es alte Männer, die junge Männer, die sich nicht kennen, in den Kampf schicken, während sie selbst ihre Konflikte aus sicherer Entfernung austragen? Vielleicht sind Kriege auch Konflikte, um Lebensstandards zu sichern oder Frauen zu gewährleisten.
Ich würde gerne ein paar Worte zum Salon Teaser sagen.
Ich finde Wolfgangs Argumentation hinkt. Aktuell findet sich in Deutschland nirgendwo ein von Männern geführter politischer Kampf, welcher den Krieg spezifisch als Ort ihres leidvollen Todes zum Inhalt hat. Anders so in den 1960er und frühen 1970er Jahren in den USA und auch in Solidarität in der deutschen Studentenbewegung. Hier wurde das Leid der Zivilbevölkerung und das Leid der als Soldaten verbrauchten jungen Männer zusammengedacht und die Kriegsdienstverweigerung zum Modus des Protestes erklärt. In gegenwärtigen Diskursen des Politischen ist für das Sterben der jungen Männer kein Platz, ein solches Argument (wie von mehreren Politikern schon formuliert) wird als vergiftet abgetan.
Auch im Rahmen aktivistischer Bewegungen gibt es kein Momentum für eine Problematisierung dieses Leides, jedoch nicht nur in feministischen Räumen (in welchen das menschliche Leid als Resultat von Krieg grundsätzlich thematisiert wird), sondern allgemein findet sich von Linksliberalen bis hin zu Linksautonomen Räumen keine derartige Bewegung, an die es anzuschließen gelten kann.
Warum es nun dezidiert eine feministische Aufgabe sein soll, eine solche Bewegung zu initiieren wird nicht verständlich argumentiert. Der Rekurs auf die Solidarität progressiver Männer mutet absurd an. So sind es feministische Kämpfe gewesen, welche grundsätzlich strukturell und individuell durch eine männliche Mehrheit massiv bekämpft worden sind und gegen eine solche geführt werden mussten, bis durch die hierdurch hereingebrochenen kulturellen Wenden eine Fügung oder Kapitulation errungen werden konnte.
Solidarität männlicher Mitstreiter hat hierbei sicher seine Rolle gespielt, jedoch ist die Umkehrung der historischen Rollen im feministischen Kampf nicht zielführend und schief. So sind es auch und oft zentral die Genossen gewesen, die eine Fokussierung auf ihre eigenen Interessen auf freie Liebe gegen die berechtigten Emanzipationswünsche der Genossinnen vorgenommen haben.
Nur weil aktuell linksliberale und marktkonforme Feministinnen erfolgreich den Girl Boss ins Zentrum eines auch nur vermeintlich emanzipatorischen Projektes stellen, muss daraus kein falscher Antagonismus abgeleitet werden.
Der linke Feminismus als Bewegung ist genauso wenig wie andere dezidiert linke Projekte gegenwärtig erfolgreich, und ihm, anders als den Männern deren Interessen in erster Linie betroffen sind, das Potential zuzusprechen eine solch wünschenswerte Position gegen das Leid des jungen Mannes als Soldat herauszukehren, finde ich nicht richtig. Ein linker Feminismus steht, anders als das westliche Individuum und seine Freiheit als Konsument oder Konsumentin in den Mittelpunkt rückende Ideologien, einem solchen Projekt auch nicht in antagonistischer Form entgegen.
Es ist die klare Aufgabe junger Männer ihr dringendes Interesse wahrzunehmen und sich auch hierzulande demonstrativ gegen die neue Wehrpflicht und gegen eine neue Militarisierung der Gesellschaft zu stellen! Linke FeministInnen werden einer solchen Bewegung ihre Solidarität sicher nicht versagen und hierin auch den eigenen Wunsch erkennen die Partner, die Brüder oder die Genossen nicht in das Inferno des Krieges zu schicken .
Es gilt zusammen unsere gemeinsame Verantwortung zu übernehmen,
Mit solidarischen Grüßen
Selten so viel motiviertes logisches Denken gesehen, wie bei der Kritik an Wolfgangs Plädoyer für mehr antimilitaristischen Feminismus (in dieser Kommentarspalte und andernorts).
Na klar, der Wolfgang hat es mal einfach nicht richtig gemacht! Die selbsternannten Retter*innen des Feminismus haben daher sofort ihre Empörungsmaschine hochgefahren. Zum einen wird ihm vor vorgeworfen, das er nicht konkret genug benennt, welche Feminist*innen mehr machen sollten – und da, wo er dann konkrete Namen nennt, wird er dafür kritisiert, weil äh, genau die Person hat ja ein „gutes Recht dazu“, dazu nichts zu sagen. Perfektes Gaslighting der Marke „du kannst es eh nicht richtig machen“.
Hauptsache, man kann schön moralisch auftrumpfen, ohne auch nur ansatzweise die systemischen Probleme zu adressieren. Das schlimmste, was passieren kann ist ja, das ein kluger Gedanke „den Falschen hilft.“ Mitunter wird sogar infrage gestellt, ob der Militarismus nicht eine noch viel mehr mit dem Patriarchat verschränkte Herrschaftsform ist, als der Kapitalismus – gleichwohl, ob man in aller Welt beobachten kann, wie patriarchal die Gewalt wird, wenn Männer Schusswaffen und die Lizenz zum Töten in die Hand gedrückt bekommen.
Statt einer substanziellen Auseinandersetzung mit Militarismus und patriarchalen Strukturen gibt’s lieber einen moralische Entrüstung. Man kennt’s: Erst den Kritiker zum Schweigen bringen, dann sich selbst auf die Schulter klopfen, wie fortschrittlich man doch ist.
Die perfekte Strategie, um bloß nichts ändern zu müssen! Kritische Männer werden problematisiert (wahlweise als Antifeministen oder FLINTA*-Verdränger), intersektionale Ansätze werden platt gebügelt, und am Ende bleibt alles schön in seinen komfortablen Denk-Schubladen. Das ist sowieso viel besser für die Zielgruppenorientierung des feministischen Contents. Zu viel Politik verwirrt die Konsument*innen.
Hauptsache, man kann sich weiter in seiner vermeintlichen moralischen Überlegenheit sonnen – während die eigentlichen Probleme schön schön unter den Teppich gekehrt werden. Mission accomplished für die Bedenkenträger*innen des performativen Fortschritts! Und jetzt an die Front mit allen Nutznießern des Patriarchats – die haben es nicht anders verdient!
Ich bedanke mich für den Hinweis zur mangelnden Empathie für zum Kriegsdienst verdonnerte Männer. In dieser Folge und auch schon vorher. Total unklar was Diskurse zu zivilen Opfern bringen sollen wenn junge (und alte) Männer unter Zwang in Uniform gesteckt werden können. Plötzlich ist es total unproblematisch diese Menschen zu erschießen, zu verbrennen, lebendig zu begraben, zu erstechen, zu erdrosseln; gerade mal vergasen darf man sie nicht.
Wem die Männer total egal sind darf auch noch beachten: Wer diese Bedenken feministisch behandelt verhindert möglicherweise auch das Abdriften nach Rechts. Immerhin sind junge Männer große Träger des Rechtsrucks.